Freiburger Theater 1999/ 2000
DIE ZEIT
- Leserbriefe -
Burchard - Straße 17
20095 Hamburg 21.07.2000
Geisterfahrer willkommen! Gerhard Jörder, ZE[T Nr. 30, 20. 7. 00
Zurückgelehnt die Beine auf dem Redaktionstisch - mit dleser leicht gönnerhaften Haltung haben alle hier in Freiburg, die es zu den höheren Weihen der überregionalen, gar internationalen Beachtung gebracht haben, zu tun. Dieses verrutschte Provinzsyndrom, was die da draußen wissen, wissen wir auch, verstellt diesem oder jenem den Blick. Überrascht bin ich, daß jemand, der hier in Freiburg völlig immun gegen solcherlei Sehstörungen seiner Arbeit als Kritiker nachging, zurückgekommen In diese Stadt sofort von diesem Virus befallen wird. Was Didi Danquart und den Schauspielern gelungen ist: sie haben das Thema von Thomas Bernhard deutlich gemacht. Bernhard hat nicht an den Menschen gelitten, er hat an der Kunst gelitten. Wenn man seine frühern Gedichte kennt, weiß man auch warum: so fett und heiß zwischen Melkkübeln und Glockengeläut delirierend, daß nur "Frost" die nötige Abkühlung verschaffen kann. Im "Untergeher'" schildert er die ganze Pein des Abmühens an der Kunst, er kriegt sie nicht zu fassen. Und bei Didi Danquart sitzt eint ,Mensch und steigert sich in eine Haß-Koloratur hinein und weiß nicht, daß er in diesem Moment Kunst produziert. Da wird ganz nebenbei gezeigt, wie Kunst entsteht - als Nebenprodukt einer ganz anderen Anstrengung. Anstrengung. Man kann sie nicht herstellen. Thomas Bernhard hat diese Phänomen gefürchtet und gehaßt und zum Thema gemacht. …
Eva M. Morat, Freiburg
Forchheim, den 27.07.2000
Betr.: Theaterkritik zu "Ritter, Dene, Voss" im aktuellen Kultur Joker
Lieber Herr Brüggemann,
ich schreibe Ihnen nicht, um mich einzulassen auf Ihr Verfolgungswähnchen, das Sie auf eine merkwürdig verkrampfte Art hätscheln zu müssen meinen,
es verlohnte nicht der Mühe, und Sie sollten sich einfach ein wenig besser informieren (in vielerlei Hinsicht), dann würden sich die meisten Ihrer Unterstellungen von selbst erledigen.
Mir geht es um etwas ganz anderes:
Ich bin mir mit vielen meiner Kollegen sehr einig darüber, daß ein großer Teil derer, die innerhalb des Kulturbetriebes sich gerne und ausführlich auf unsere große Tradition (in diesem speziellen Fall auf die musikalische) berufen, sich auf sie beziehen und mit ihr argumentieren zu müssen meinen, sie überhaupt nicht kennen - man könnte ihnen unter einem bedeutungsheischenden Etikett einen vollkommenen Unsinn vorsetzen, sie würden's nicht bemerken.
Daß Sie mir nun ein Beispiel dafür liefern wie es anschaulicher nicht sein kann, sollte mich eigentlich dankbar stimmen - aber leider bin ich dafür nicht Zyniker genug.
Wenn Sie meinen, ich hätte mein "Honorar" (was wissen Sie eigentlich von meinem Honorar?) dafür erhalten, daß ich zwei kratzende Beethovenplatten aufgelegt habe, so bin ich doch sehr erstaunt darüber, was Sie alles nicht hören.
Ich habe überhaupt keine Beethovenplatte aufgelegt! Was an diesem Abend zu
hören war, war in keiner Hinsicht Beethoven, sondern eine Hülle, die alles, aber auch alles, was Beethoven zu dem macht, was er ist, ausspart und lediglich Leerformeln übrigläßt (die formalen Verläufe stimmen nicht mehr, die harmonischeh Anschlüsse sind falsch, das kunstvolle Verhältnis von schweren und leichten Takten ist zerstört, ••• - aber was erzähle ich Ihnen da). Dies Verfahren schien mir für den Stückzusammenhang sinnvoll, weil es auf einer zweiten Ebene davon erzählt, wie die Personen auf der Bühne miteinander sprechen.
Daß es nun auch für den Kritiker Brüggemann ein sinnvolles Verfahren war, war wirklich nicht beabsichtigt - ein dermaßen decouvrierender Nebeneffekt sollte allerdings auch nicht unbeachtet bleiben. Und so können Sie sicher sein: So ein eindrückliches Beispiel für die oben angeführte These will und kann ich mir natürlich nicht entgehen lassen - man findet das nicht alle Tage und es werden noch sehr viele ihr Vergnügen daran haben.
Mit freundlichen Grüßen
Cornelius Schwehr
Einen Filmemacher zieht es ans Theater: Didi Danquarts Freiburger Schauspieldebüt
Vor Jahren hat der Filmemacher Didi Danquart einen Dokumentarfilm mit dem Titel Geisterfahrer gedreht. Jetzt ist er selber einer: ein Geisterfahrer des Kulturbetriebs. Denn so viele Wege es gibt zwischen Theater und Kino - fast alle sind sie Einbahnstraßen und nur in eine Richtung offen: hin zum Film, zum Fernsehen. Irgendwann einmal in ihrem Berufsleben zieht es die meisten Theatermenschen, Schauspieler wie Regisseure, dorthin. Zwar bleibt es oft beim Gelegenheitsausflug, auf Dauer fassen nur wenige Fuß - die Sehnsucht nach dem Schutzraum Theater, in dem Kunst noch vor Quote geht, treibt sie rasch wieder zurück. Dennoch: Die Wanderbewegung reißt nicht ab, nicht nur das Geld lockt, auch die Neugier auf das andere Medium ist groß.
Dass es nun, umgekehrt, einen mit Macht zum Theater zieht, der sich als Dokumentarfilmer (Der Pannwitzblick, Wundbrand), als Kino- und TV-Regisseur (Viehjud Levi, Tatort) längst einen Namen gemacht hat, ist also eine echte Kulturbetriebsrarität - und als solche der besonderen Aufmerksamkeit wert.
Didi Danquart, Jahrgang 1955, einst Mitbegründer der Freiburger Medienwerkstatt, muss derzeit viele verwunderte Interviewfragen beantworten.
Ihm selbst allerdings kommt der eigene biografische Weg nicht exotisch, sondern nur folgerichtig vor: Immer stärker, sagt er, ist ihm beim Filmen die Arbeit mit den Schauspielern ins Zentrum gerückt, jetzt, auf der Bühne, könne er sie noch intensiver fortsetzen. Das Theater reizt ihn: Es lasse der Fantasie größere Spielräume, das Kino setze engere Grenzen.
Doppelter Wagemut: Das Freiburger Theater hat dem Spartenspringer die Chance gegeben, Danquart selbst hat sich mit Thomas Bernhards Ritter, Dene, Voss die Messlatte hoch gelegt. Von Wunderdingen freilich kann der Premierenbeobachter nun nicht berichten - aber doch von einem soliden Ergebnis. Noch ist Danquart zu vorsichtig, noch traut er sich im fremden Medium nicht genug, verlässt sich nur auf die Erfahrung dreier Schauspieler (Ullo von Peinen, Ilse Boettcher, Verena Plangger). Die beiden ersten Bilder in der "Worringerhölle" bleiben gift- und gallefrei, werden nur eben hingekeift, Familienclinch vom Üblichen, eher Ibsensche Helligkeit als Bernhards sinistrer "Katafalkismus".
Erst im Finale tun sich Wahnsinnslöcher auf.
Sicher kein glanzvolles, doch auch kein vertanes Debüt. Mehr hatte man wohl gar nicht erwarten können: Es ist, aus dem Stand heraus, für einen Theatermann offenbar leichter, in der Filmregie zu reüssieren (Leander Haußmann etwa mit Sonnenallee), als umgekehrt für einen Filmemacher, sich auf der Bühne zu behaupten. Dennoch: Das Theater, hermetisch, wie es sich derzeit präsentiert, sollte sich gegen Quereinsteiger nicht abschotten. Also: Geisterfahrer willkommen!
Gerhard Jörder, Die Zeit Nr. 30, 20. 7. 2000