"Wer erzählt, hat eine Frage."
Kinospielfilm nach dem Roman "Lenas Liebe" von Judith Kuckart (aka "Der Flur")
Premiere: Hofer Filmtage 2011 - Kinostart am 13.9.2012 - Erstausstrahlung arte am 06.11.14
Die Reise in einem roten Volvo durch Polen verbindet das Schicksal dreier unterschiedlicher Menschen und wird zu einem poetisch humorvollen Trip durch Stationen der deutschen Vergangenheit bis in die Gegenwart.
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NEU: "Bittere Kirschen" Presseheft
Besprechung von Tilmann P. Gangloff
Die Schauspielerin Magdalena Behsler, genannt Lena, fällt im letzten Akt einer Penthesilea – Aufführung aus ihrer Rolle, eben in dem Moment, als die Amazonenkönigin erkennen muss, ihren Geliebten im Wahn zerrissen zu haben.
Lena wendet dem Theater den Rücken und kehrt, als sie vom Tod ihrer Mutter Marlis erfährt, in ihren kleinen Heimatort zurück. Bei Julius Dahlmann, einem als verschroben geltenden Freund ihrer Mutter aus Kindheitstagen, wird sie Untermieterin. Dahlmann hat als Kind bis 1944 in Polen gelebt, in Auschwitz, dort, "wo alles angefangen hat", wie Lenas Mutter immer erzählte.
In ihrem Heimatstädtchen wartet auch Lenas Freund Ludwig, der sie auffordert, diesmal zu bleiben. Er bittet Lena um ihre Hand. Doch Lena ist nicht danach zu Mute, sich festzusetzen. Als sie von einem Freundschaftsspiel der heimischen Fußballmannschaft in Oswiecim erfährt, beschließt sie , nach Polen zu fahren, um auf den Spuren Dahlmanns Antworten auf Fragen zu suchen, die sie ihrer Mutter zu Lebzeiten nicht stellen konnte . Was war Julius Dahlmann als Kind widerfahren? Und warum war er doch nicht ihr Vater geworden?
Auch Dahlmann reist nach Oswiecim, als er von Lenas Reiseplänen erfährt. Dort quartiert er sich beim katholischen Priester Richard Franzen ein, der in Auschwitz den deutsch - polnischen Jugendaustausch organisiert. Dahlmann will in der polnischen Stadt nur wiedererkennen, was er einst als Kind erlebt hat, doch seinen traumatischen Erfahrungen und seinen über Jahre gewachsenen Schuldgefühlen weicht er aus.
Auch Lena hat Richard Franzens Bekanntschaft gemacht. Bald ist er hin- und her gerissen von Lenas unkonventionellen Ansichten über den Umgang mit der deutschen Vergangenheit, wie sie die Musealisierung des Gedenkens an den Holocaust ablehnt, und ihrer erotischen Ausstrahlung.
Lena lässt sich auf eine Affäre mit Adrian ein, dem jungen Torwart der Fußballmannschaft . Sie führt ihn zu Dahlmanns Haus aus der Kindheit. Doch nach einem verzweifelten Liebesakt im Dunklen jenes Hausflurs, in dem einst Julius Dahlmanns vor den Schlägen des SS-Vaters und KZ Aufsehers Schutz suchte, beschließt sie, zurückzukehren.
Als sie zu ihrer Überraschung kurz darauf Dahlmann begegnet, lädt sie ihn ein, in ihrem Auto mitzufahren. Richard schließt sich spontan der Reisegemeinschaft an.
Die Fahrt durch fremde polnische Landschaften wird für Lena wie Dahlmann eine Reise in die Erinnerung. Lenas Liebe zu Ludwig, der seit ihrer Schulzeit etwas Unerfülltes anhaftet, kristallisiert sich als Kampf zwischen ersehnter Nähe und dem Wunsch, der engen Kleinstadt zu entfliehen. Auch Dahlmanns verkrustete Erinnerungen brechen auf. Seine heimliche Liebe zu Marlis bis zu ihrem Tod war genährt von einem Versprechen unter Kindern; von der vergeblichen Hoffnung, bei der starken Marlis den Schutz zu finden, den sein gehasster Vater ihm als schwächlichem Jungen brutal verweigerte.
Richard spürt, dass er sich dem Auftrag, sein Leben der Versöhnung für Auschwitz zu widmen, nicht mehr gewachsen sieht. Und seine Gefühle für Lena
lassen ihn am Sinn des Zölibats mehr und mehr zweifeln.
Immer wieder unterbrochen von scheinbar nebensächlichen Begebenheiten, geht die Fahrt weiter in eine Welt, in der Realität und Erinnerung, Traum und Sehnsucht verschmelzen, und in der jeder sich den vergessen geglaubten Erinnerungen und der eigenen Zerbrechlichkeit stellen muss.
Das Vergessen ist ein Privileg der Toten, schrieb der große Dramatiker Heiner Müller in seinem Text "Mommsens Block" (1993) als (philosophische) Reflexion des MenschSeins. Über alle Diktaturen und anderen Gesellschaftsformationen hinweg. Demnach ist das Erinnern ein Privileg der Lebenden.
Als 2007 die Autorin Judith Kuckart an mich herantrat und fragte, ob ich ihren Roman Lenas Liebe verfilmen möchte, entdeckte ich beide Privilegien (die der Toten und Lebenden) in ihrem Buch wieder. Aber wie visualisiert man einen theoretischen Begriff wie Erinnerung ohne ausschließlich die Sprache zu bemühen? Durch einen (gewinkten) Zufall habe ich (erneut) den großartigen Film "Wilde Erdbeeren" von Ingmar Bergman angesehen und in Isak Borg, dem alten, bösartigen und starrsinnigen Medizinprofessor, sah ich eine meiner Hauptfiguren (Julius Dahlmann) widergespiegelt.
Damit half mir überraschenderweise dieser "alte" Film enorm, den künstlerischen Zugriff für die heutige Umsetzung des Kuckart-Romanes zu finden und motivierte mich letztendlich dazu, das eigene mythische Roadmovie zu erzählen, in welchem die Schicksale dreier Individuen in der Erinnerung und der Ist-Zeit verschmelzen. (Mein Film - insbesonders die Kinderszene an der Brücke - ist also auch eine Hommage an den großen Meister des mythologischen Films. Der Titel Bittere Kirschen ein konsequentes Weiterdenken des Bergmantitels.)
"Bittere Kirschen" ist, nach "Viejud Levi" (1999) und "Offset" (2006), der letzte Film meiner "Werks/Trilogie: conditio humana". Geprägt durch eine sehr persönliche Erfahrungen in meinem Leben und der (geselllschaftlichen) Stigmatisierung von Menschen deren Provenienz wir (erstmal) nicht kennen, ist mein Film (sind meine Filme) auch ein Aufbegehren gegen das (kollektive) Verdrängen gesellschaftlicher Katastrophen und das Aufbrechen ihrer Normen: denn auch die Kinder von Nazitätern können Opfer des Faschismus sein, auch Priester können - trotz Zölibat - (erotische) Gefühle hegen und auch Frauen müssen nicht unbedingt den "gesellschaftlichen Erwartungen" entsprechen, um wirklich Frau zu sein.
Als conditio humana bezeichnet man im Allgemeinen die Bedingung des Menschseins und die der Natur des Menschen. Wir haben versucht in "Bittere Kirschen" poetische Bilder sprechen zu lassen, die keine Worte benötigen und haben ein Sprache benutzt, die sich in die Kraft der Natur einordnet, ohne sich zu weit von der (heutigen) Alltags-sprache zu entfernen. Die (großartigen) SchauspielerInnen verkörpern (während dieser filmischen Reise) Archetypen, die nur sich selbst verpflichtet sind und kongenial aneinander vorbei sprechen, ohne dabei ihren gemeinsam geführten Dialog zu vernachlässigen.
Deswegen ist mein Film Bittere Kirschen ein Werk, welches sich nur in seiner (komplexen) Gesamtheit erschließt, das meint, die klassische Dramaturgie (eines Filmwerkes) außer Kraft setzt und darauf baut, dass die Sprache in den Bildern verschmilzt und in den Tönen die (anthropologische) Mythologie des Lebens und des Todes hörbar wird.
"Bittere Kirschen" wirft bis zum Ende der Erzählung immer wieder neue Fragen auf ohne sie explizit zu beantworten.
Didi Danquart, Regisseur
Berlin, den 20.11.2011
Als ich das Drehbuch „Reisende mit Hund“ von Didi Danquart und Stephan Weiland las, musste ich an „Hiroshima Mon Amour“ und an „Bei Nacht und Nebel“ denken. Die wichtigen Orte sind in dem Konzept für den Film enthalten, ohne wichtig gemacht zu werden. Ein altes Auto, ein Mann, der gern das Mädchen wäre, das er einmal liebte, ein zweiter Mann, der von der Rückbank alles beschaut und neben ihm ein zugelaufener Hund, der sich wie die Erinnerung hinlegt, wo er will. Die männlichen Wesen im Auto sind konzentriert auf das eine weibliche Wesen: Lena am Steuer. Eine Frau als magischer Anziehungspunkt, der flirrende Mittelpunkt, Drehpunkt des Geschehen, bei dem mir der Name Jeanne Moreau einfällt. Eine altmodische und gleichzeitig unbestechlich moderne Figur, die Anna Stieblich als Lena sicher in dieser Tradition wunderbar spielen kann.
Lena fährt durch die Landschaft von Polen. Von Auschwitz nach Berlin. Die polnische Landschaft macht etwas vom Deutschland jetzt und vom Deutschland zwischen 1933 und 1945 sichtbar. Die Film-Fahrt macht auch die Liebe sichtbar, auf die Lena zufährt, nachdem sie eigentlich von dieser Liebe weg wollte. Die Liebe heißt Ludwig. Es ist ein Road Movie, in dem Innenleben und Geschichte und Erinnerung sichtbar werden können durch die besondere Beobachtungsgabe, die nur der Film hat. Das Drehbuch hat mich sehr bewegt, weil ich, obwohl ich den Stoff als Autorin bestens kannte, erst in der sehr freien Übersetzung für den Film bemerkt habe, dass es die äußere Bewegung über die polnischen Landstraßen ist, die die innere auslöst und auch wieder besänftigt.
Es gibt viele Filme jetzt über nicht mehr ganz junge Jungendliche, die ihre Jungend verlängern, bis ihre Melancholie lächerlich und anstrengend wird. Es gibt Filme über Menschen, die sich auf den Tod vorbereiten und in dessen Nähe plötzlich auf eine aufregende Art neu leben und zum letzten mal reisen. Der Film von Didi Danquart aber wird die Geschichte derer erzählen, die eigentlich zu den „Tüchtigen“ in dieser Gesellschaft gehören und auf der Hälfte des Lebens angekommen sich fragen, wie es denn in der zweiten Halbzeit wohl weiter geht? Ob die Liebe einem noch mal ein Tor reinschießt. Ob Liebe wirklich soviel mit Fußball zu tun hat, wie die Geschichte erzählt? Ob man so schnell auf der Ersatzbank sitzt? Ob man schon ausgemustert ist? Aber eines wird in „Reisende mit Hund“ schon am Drehbuch deutlich: dass es die Liebe ist, die einen Leben lässt,- zwischen Nicht-mehr-jung-Sein und Noch-nicht-alt-Sein. Ich hoffe und glaube, dass Didi Danquart und die Darstellerin der Lena, Anna Stieblich, in „Reisende mit Hund“ uns vom Leben so erzählen werden, dass wir danach Lust haben werden auf dieses, unser nicht so einfaches Leben und auf die Liebe sowie auf die äußere Bewegung, also auf Reisen durch unvertraute und doch nahe Landschaften, die eine innere Geografie sichtbar machen, in der man ankommen möchte. Für eine Weile.
Judith Kuckart, Januar 2008
Lieber Didi,
noch eine kurze Antwort nach langer Zugfahrt.
Drei Geschichten zu erzählen, in einem Film, die eigentlich nicht zu erzählen sind. Eine Reise an einen Ort, der erst durch diesen Film als Ort aufersteht und die Antwort aus der Gegenwart in die Vergangenheit stellt.
Um den Fragen zu entgehen, beginnen und enden fast alle Filme über dieses Thema in der Vergangenheit.
Dein Film beginnt heute und fragt zurück und wir müssen verdammt noch mal eine eigene Antwort finden.
In A ist eine Eishockeymannschaft, die besten Schwimmer... wie ist mein Weg durch meine Gegenwart in die Vergangenheit. Ich hab plötzlich eine Rolle in diesem Film. Ich kann mich nicht wegerklären, diese Gegenwart zwingt mich zu einer eignen Sicht. Ich bin sozusagen mit auf der Reise.
Drei Schauspieler spielen, jeder in einem anderen Spiel, ohne dass sie sich aufeinander beziehen, werden sie zu einer Einheit der Fremde. Das ist so selten gesehen, in einem deutschen Film wahrscheinlich so gut noch nie geschehen. Jeder hat seinen eigenen großen Stil.
Durch die Verweigerung von Erwartungsbildern kann der Film Bilder erzwingen, die entweder im Kopf des Publikums sind, oder sonst nirgends wo.
Ich sehe ein KZ, weil ich es fühle, es nicht sehen zu können, es ist zu dunkel, zu grausam, oder ich werde es nie sehen .
Das ist das große Paradox der Vergangenheit.
Nicht weil ich dich kenne. Ich bin platt. Es ist großartig gespielt. Gefilmt. Gelebt.
Gerd Zahner