Festivals
18. Filmkunstfest Mecklenburg-Vorpommern 2008
19. Internationales Filmfest Emden-Norderney 2008
diverse Internationale Fimfestivals
Preise:
Baden-Württembergischer Drehbuchpreis 2007
18. Filmkunstfest Mecklenburg-Vorpommern 2008 - "Nachwuchspreis der DEFA Stiftung"
19. Internationales Filmfest Emden-Norderney 2008 - "3. Hauptpreis"
19. Internationales Filmfest Emden-Norderney 2008 - "NDR Nachwuchspreis"
First Steps Preis 2008
Nominierung Deutscher Filmpreis 2009 - "Bestes Drehbuch"
Nominierung Adolf-Grimme-Preis 2010 - Fiktion
Berlinale
Rocky Kabul
Deutschland diskutiert über den Sinn des Afghanistan-Mandats. Der Film „Nacht vor Augen“ schildert, was ein Friedenseinsatz aus einem jungen Mann machen kann
Als David aus Afghanistan zurückkehrt, wartet eine Überraschung auf ihn: Seine Freundin hat eine hübsche neue Wohnung eingerichtet: Sonnenblumen auf dem Duschvorhang, romantische Vorhänge und ein King-Size-Bett - „von Deiner Gefahrenzulage und meinen Überstunden“, witzelt sie. Alles passt wunderbar zusammen in diesem kleinen Ikea-Idyll. Nur David passt nicht mehr hinein.
Das merkt zum Glück erstmal keiner. Familie und Freunde empfangen ihn freudig in seinem Heimatort im Schwarzwald. „Hey, Rocky Kabul!“, begrüßt ihn sein bester Freund und haut ihm auf die Schultern. Beim Grillen guckt man sich ein paar Afghanistan-Fotos auf dem Laptop an, Jungs in Tarnanzügen, die rumalbern. „Natürlich war es nicht immer ein Spaziergang“, sagt David. Alle nicken verständnisvoll. Schon klar. Die Hitze, die Wüste.
Dass David nicht mehr schlafen kann? Der Jetlag. Dass er keine Lust auf Sex mit seiner Freundin hat? Müdigkeit. Dass er plötzlich wieder Bettnässer ist? Und dass jede Nacht ein kleiner Junge auf seiner Bettkante sitzt? - Das darf niemand erfahren! Nachts, heimlich, wäscht David seine eingepinkelten Unterhosen und Laken in der Badewanne aus. Seine Alpträume kann er nicht auslöschen.
Die Autorin Johanna Stuttmann begann sich für die Schicksale von heimgekehrten Bundeswehrsoldaten zu interessieren, nachdem ein Bekannter völlig verändert aus dem Kosovo zurückgekommen war. Aus diesen Recherchen hat sie ein sehr kluges Drehbuch verfasst, das Brigitte Maria Bertele in „Nacht vor Augen“ eben so umsichtig verfilmt hat. Mit ihrem Hauptdarsteller hat die Regisseurin ebenfalls eine gute Wahl getroffen: Hanno Koffler, bisher vor allem aus deutschen Coming-Of-Age-Filmen bekannt, ist mit dieser Rolle des David zum Charakterdarsteller im deutschen Film gereift. Er verkörpert den Heimkehrer als einen Mann, der seine seelische Pein nur durch körperlichen Schmerz kompensieren kann.
Ganz langsam erst bricht das Geschehene seinen Weg nach draußen. Beim Fußballtraining mit seinem achtjährigen Halbbruder Benni will David etwas von dem „weitergeben“, was er im Krieg gelernt hat. Als er versucht, aus dem verträumten und verschüchterten Benni mit aller Gewalt einen Mann zu machen, kommen schließlich seine eigenen Traumata ans Licht.
Es ist gut und wichtig, dass ein Film wie dieser gerade jetzt gezeigt wird, da die Frage nach dem Sinn so genannter Friedenseinsätze wieder gestellt wird. „Der David hat in Afghanistan gegen die Terroristen gekämpft, die Deutschland und unsere Nachbarn bedrohen“, erklärt sein Stiefvater dem achtjährigen Benni. „Verstehst du das?“ Benni nickt, für ihn ist der ältere Bruder ohnehin der Größte - David schüttelt nur den Kopf.
"Nacht vor Augen" beschreibt sehr realistisch und nüchtern ein Phänomen, das es nach allen Kriegen gibt: Die Sprachlosigkeit der Heimkehrer. Und das Desinteresse der Gesellschaft an dem, was sie erlebt haben. Bei der Feier zu seiner Rückkehr fordern Davids Freunde ihn auf, auch mal Fotos vom „echten Leben“ in Afghanistan zu zeigen. Als er daraufhin Bilder von verstümmelten afghanischen Zivilisten vorführt, sprengt er fast die Party.
So genau will man es dann doch nicht wissen. Passt schon alles, irgendwie. Solange einer es nicht herauslässt, das Hässliche. „Du willst das doch gar nicht wissen!“, schreit David seine Freundin an, als sie erfahren will, was in Afghanistan passiert ist. Wahrscheinlich hat er damit Recht. Denn die Wahrheit führt in diesem Fall in einen Abgrund, dass es jeden schwindelt, der es wagt, dort hineinzuschauen.
Carolin Ströbele
14.2.2008 - Zeit online