über die Lehre des künstlerischen Films an der Hochschule für Gestaltung, Karlsruhe (2001 - 2007)
alex:
Professor Didi Danquart, Sie leiten seit drei Jahren die Filmklasse der Medienkunst an der HfG. Sie haben in einem Interview mit der "Munitionsfabrik" (Hochschulzeitung) vor eineinhalb Jahren gesagt, das Ausbildungsziel bestehe nicht darin, den Studenten beizubringen, wie man ein Bild macht, sondern warum. Sind Sie diesem Ziel schon ein wenig näher gekommen?
Didi Danquart:
Ja, ich glaube schon. Wenn ich mir die letzten Arbeiten anschaue, finde ich, dass die Ästhetik, mit der sich die Klasse auseinandersetzt, eindeutig auf eine Suche nach dem Selbst zielt. Und vielleicht ist diese Suche auch etwas, was mit dem Warum des Bilderrmachens zu tun hat. Nämlich das eigene Ich in den Vordergrund zu stellen und nicht die ästhetische Mainstreammaschine, die normalerweise als Vorbild oder als Ausbildungsziel definiert wird.
alex:
Also, das Warum als Selbstreflexion? Oder gibt es noch andere Inhalte, Vorlieben, die Sie durchaus als Warum bezeichnen könnten?
Didi Danquart:
(Pause) Hmm ... Das Warum bedeutet doch letztlich immer nur: Wer bin ich und warum mache ich etwas? Wenn man sich diese Fragen stellt, fängt man auch an sich Gedanken darüber zu machen, warum man gerade diese Geschichte verfilmen muss. Das artikuliert sich in der Art, wie diese Filme eine Eigensprachlichkeit entwickeln, die sehr weit weg ist von dem, was das klassische Fernsehen im Moment erwartet oder fordert. Das Warum heißt ja nicht: Ich mache das Bild so, damit ich den Weihnachtsbaum im Hintergrund habe, weil ich etwas über Weihnachten erzählen will. Das Warum bezieht sich auf einen eigenen Zustand, auch darauf, in einer Gesellschaft zu leben, die zunehmend ihre Werte verliert. Dieser Verlust führt zu einer gewissen Orientierungslosigkeit, aber auch zu einer Sehnsucht nach einem Punkt, an dem man sich andocken kann, wo man sagt, das muss ich jetzt erzählen, und so muss ich das jetzt formal umsetzen. Zunehmend stelle ich fest, dass die Arbeiten, die in der MK Filmklasse entstehen, schon Filme sind, die man so in dieser ästhetischen Form nicht überall sieht. Und sie werden immer präziser.
alex: ‚
Was für Arbeiten entstehen denn konkret an der HfG?
Didi Danquart:
Eigentlich habe ich die Frage schon beantwortet, weil es genau darum geht, dass meiner Meinung nach eure Generation nicht genau weiß, wohin sie will, und keine utopischen Entwürfe im klassischen Sinne mehr hat. Statt zu sagen, wir sind jetzt für den Kommunismus und gegen den Kapitalismus, wir sind jetzt für eine klassenlose Gesellschaft oder für eine freie Sexualität, setzen sich die Filme, die hier entstehen, mit einem äußeren Druck auseinander, den sie oft nicht aushalten oder mit einer Sehnsucht, die sie zur Zeit nicht greifen können.
alex:
Gibt so etwas wie eine Verschränkung mit der Kunst?
Didi Danquart:
Nein. Das ist ein weiteres Grundproblem. Was heißt denn Verschränkung mit der Kunst? Gibt es eine Kunst, mit der man sich verschränken kann, oder ist Kunst, wenn man etwas artikuliert und ausdrückt, was einem eigen ist. Zunehmend finde ich, dass deine Kolleginnen· und Kollegen sich auf sich selbst besinnen und nachfragen. Das hat meiner Meinung nach zwei Gründe: Zum einen haben sie Vertrauen zueinander gefasst, so dass sie ausdrücken, formulieren und einander vermitteln können, wo ihre Ängste und Sehnsüchte liegen. Zum Zweiten entsteht neben dieser "Intimität" eine "Kollektivität", in der einer dem anderen hilft und sich in unterschiedlichen Disziplinen ausbildet, Regie, Produktion, Kamera, Ausstattung. Also klassische, handwerkliche Dinge. Aber darüber liegt, und das kommt aus dieser Intimität, ein Zugehörigkeitsgefühl, also: miteinander und nicht gegeneinander zu arbeiten und Vertrauen zu entwickeln. Dann fängt man an, sich mit den ureigenen Sachen zu beschäftigen. Und wenn man sich traut, kommen ganz erstaunliche Filme dabei raus, die dann wiederum eine eigene Ästhetik definieren. Man orientiert sich nicht an einem herrschenden Kunstbegriff, sondern entwickelt sich über Vertrauen und Praxis zu dem Punkt, wo eine Eigensprachlichkeit entstehen kann. Das ist alles noch sehr zart, und sicherlich noch nicht perfekt. Warum auch? Dazu sind sie ja noch in der Ausbildung. Und ich bin sehr hoffnungsfroh, dass man in drei Jahren sehen wird, dass der oder die eine oder andere mit einer tatsächlich eigenen ästhetischen Definition Filme machen wird.
alex:
Welche Rolle spielt in der Ausbildung die Beschäftigung mit dem Werk bedeutender Filmemacher, wie z. B. bisher Melville,Malle, Terence Malick oder Quentin Tarantino?
Didi Danquart:
Ich glaube, dass die Grundausbildung darin besteht, Filme zu schauen. Und die Leute, die bei mir studieren, sollen mind. 500 Filme mit mir sehen und diskutieren. Mehr ist fast nicht nötig, um Filmemacher zu werden. Wenn man das in einer gewissen Stringenz aufbaut, vermittelt sich eine Geschichte der Filmkunst, an der man sich, wenn man seine eigenen Arbeiten selbstkritisch vergleicht, orientieren kann.
alex:
Lernt man dadurch, bessere Filme zu machen oder eine eigene Sprache zu finden?
Didi Danquart:
Es ist im Film alles geschrieben, gesagt und gedreht worden, was geschrieben, gesagt und gedreht werden musste. Es geht wie in der Malerei oder auch in anderen Künsten gar nicht mehr darum, etwas neu zu erfinden, sondern nur noch darum, aus diesem Schatz zu schöpfen und daraus etwas herzustellen, von dem man sagen kann: Das ist jetzt etwas Eigenes. Für diese Überzeugung und Kraft, das so für sich zu definieren, muss man sich bewusst werden über die unterschiedlichsten Phasen der Filmgeschichte, die immer gekoppelt sind mit gesellschaftlichen Momenten. Hinterher hast du nur eine Chance, ein filmischer Künstler zu werden, wenn du kraft Bildung, kraft visueller Erfahrung und authentischer Suche nach dir selbst eine Mixtur findest, aus der sich, so hoffe ich, eine Eigensprachlichkeit entwickelt. Ansätze dazu sind sicherlich auf der DVD zu finden, die eurer Zeitung beiliegt.
alex:
Was ist der Unterschied zu anderen Schulen?
Didi Danquart:
Das ist jetzt eine ziemlich gefährliche Frage, weil ich uns nicht im Vergleich mit anderen Schulen messen will. Es geht mir nicht darum, Leute für einen Markt auszubilden. Das interessiert mich nicht. Da ist unsere Hochschule, wie ich finde, auch anders gestrickt. Es geht nicht um Abgrenzung, sondern es geht um die Definition der eigenen Arbeit und der Vision. Für mich bedeuten diese sechs Jahre so etwas ähnliches wie an einem Filmprojekt zu arbeiten. Wie in einem Filmprojekt versuche ich, in diesen sechs Jahren nichts zu wiederholen, und am Schluss gibt es ein Ergebnis, an dem ich mich auch messen lassen werden muss.
alex:
Welche Idee steckt hinter der jetzt veröffentlichten DVD?
Didi Danquart:
Der Midpoint. Ich bin jetzt drei Jahre da und ich will auch, wie Quentin Tarantino, der seinen Film in zwei Teile aufteilt (schmunzelt), die erste Hälfte eines Films erzählen. Und nach drei Jahren wird es die zweite DVD geben. Vielleicht sind es wieder dieselben Studenten und Studentinnen, vielleicht kommen ein paar neue dazu, vielleicht sind ein paar abgesprungen. Aber für mich selber wird nach drei beziehungsweise sechs Jahren eine DVD mit Arbeiten, die ich betreut habe, einen Zwischen- oder Endstand meiner Arbeit und meiner filmischen Expressivität zeigen. Nicht weil ich sie gemacht habe, sondern w@ ich darauf Einfluss genommen habe.
alex:
Nach welchen Kriterien wurden,die Arbeiten ausgewählt?
Didi Danquart:
Das Kriterium war nicht so sehr: was ist jetzt gut oder schlecht, sondern: "wer studiert bei mir, wer ist mir nahe, und wie"weit ist das Spektrum, in dem ich arbeite. Seien es eher formale Filme wie "Dantebad", Horrortrash wie "Arne Friedmann", eine sinnliche Arbeit wie ."Schnee", oder der Abschlussfilm von Thomas Knapp, der tatsächlich eine Sprache gefunden hat in den drei Jahren, in denen er noch bei mir studiert hat. Es ist der Animationsfilm von Anna Klaus und "Tango deI aire" von Chris Roth, die sicherlich draußen gut ankommen. Das Spektrum ist also breit, dennoch gibt es bei allen Filmen eine gemeinsame Spur, und die heißt: MK Film Karlsruhe. Ein weiterer wichtiger Grund für diese Dvdwar, dass die Intensität, in der wir hier leben und arbeiten, keinen Trans-missionsriemen hat. Draußen sind wir nicht sehr bekannt. Viele Leute fragen mich; was macht ihr da eigentlich? Denen will ich zeigen, dass es in Baden-Württemberg nicht nur die Filmakademie Ludwigsburg gibt, sondern eben auch diese Filmklasse hier in Karlsruhe, die ich seit drei Jahren leite. Öffentlichkeitsarbeit ist der eine Punkt, Selbstüberprüfung der andere.
alex:
Üblicher wäre es doch, die Studenten mit ihren Arbeiten auf möglichst viele Festivals zu schicken. Ist die DVD da nicht eher kontraproduktiv?
Didi Danquart:
Wir animieren die Studenten im Filmbereich mit Sicherheit nicht dazu, auf irgendwelchen Festivals um Preise zu ringen.
alex:
Geht es darum, die Studenten vor dem Markt zu bewahren?
Didi Danquart:
Im Gegenteil. Ich bin überzeugt davon, dass einige, die wir ausbilden, auf dem Markt bestehen werden. Aber ich will sie so lange wie möglich schützen. Und das ist auch der Unterschied zu den meisten anderen Hochschulen. Diese Sehnsucht nach Preisen bedeutet nur Marktkonformität. Wenn sie mit zwei guten Arbeiten aus dem Studium herausgehen, mit einer eigenen Handschrift, die sie in diesem "Schutzraum" entwickelt haben, und ihre wirklich erste, große, ernsthafte Arbeit auf dem offenen Markt anbieten, dann ist ihre Chance, nicht marktkonform arbeiten zu müssen, wesentlich höher, als wenn sie schon nach dem Vordiplom versuchen, Redakteure zu finden und sich auf dem Markt festzusetzen. Der Markt wartet darauf, der Markt sucht danach, der Markt greift ab. Je früher, desto besser. Ah, ein neues Talent! Dann machen sie ihre ersten Arbeiten, versagen und sind weg vom Fenster. Diese Erfahrung habe ich in der Zeit gemacht, als ich an der DFFB unterrichtet habe, und das gleiche beobachte ich in Ludwigsburg.
alex:
Ist es eine DVD für Didi Danquart oder eine DVD für Studenten?
Didi-Danquart:
Es ist eine DVD von Studenten mit Didi Danquart als Professor fiir den Fachbereich MK Film an der Hochschule für Gestaltung (HfG) Karlsruhe. "
alex:
Vielen Dank für das Gespräch.
(aus: "Munitionsfabrik 12" - Zeitung der staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe, Sommersemester 2004)